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Was Schüler in Bussen liegen lassen

Vergesslich: Was Schüler in Bussen liegen lassen

Fundstücke füllen bei den KVB einen ganzen Raum – Was nach einem Jahr übrig ist, erhält das Haus Nazareth


Foto: JENNIFER KUHLMANN

Manchmal steht plötzlich ein sechsjähriger Junge vor Christine Geschwender in den Büros
der KVB, guckt sie ganz verschämt an und platzt dann heraus: „Ich habe meine Jacke im Bus vergessen. Ist die hier?“ Oft wartet dann die Mutter des Kindes draußen auf dem Hof im Auto und hat das Kind allein hereingeschickt.
„Aber so lernen die Schüler am besten, dass sie auf ihre Sachen aufpassen müssen“, findet die Prokuristin
des Kreisverkehrsbetriebs. Wenn Geschwender Eltern oder Kinder in den Raum führt, in dem all die Sachen aufbewahrt werden, die in den insgesamt 25 KVB-Bussen vergessen wurden, staunen beide gleichermaßen.
Ein großer Karton ist mit Jacken gefüllt, der riesige Schirmständer quillt über und in Regalen an der Wand stapeln sich bunte Turnbeutel und Sporttaschen. Ganze Kisten sind voller Handschuhe, Schals und Mützen – natürlich fein säuberlich getrennt. Außerdem gibt es Brotdosen und Trinkflaschen in allen Farben und
Größen. Wer etwas vermisst, sollte noch genau wissen, wie seine Kappe oder sein Etui ausgesehen hat. Bei
den Jacken müssen sich die Suchenden gnadenlos durch den ganzen Wagen wühlen. Immer zu Beginn des neuen Schuljahres wird ausgeräumt „Das sind schon viele Sachen“, bemerkt Christine Geschwender beiläufig. „Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich die ganzen Sachen  seit Beginn des vergangenen Schuljahres, also seit knapp einem Jahr, angesammelt haben.“ In einem Jahr? „Sie haben richtig gehört“, sagt die Prokuristin. Wenn nämlich das neue Schuljahr angefangen habe, würden alle zurückgelassenen Sachen schon seit Jahren dem Haus Nazareth überlassen, wo Jacken und Mützen neue Träger und Taschen neue Besitzer fänden. „Wegwerfen muss ja nicht sein“, sagt Geschwender. „Die Fundsachen passen, wenn man Fußräume, Rückbänke und den Kofferraum komplett vollstopft, genau in einen Kombi.“ Und es ist wieder Platz für die neuen Sachen. „Es gibt einzelne Kinder, die lernen es nie“, stellt Geschwender fest. Und weil sie schon seit 25 Jahren bei der KVB arbeitet, muss sie es wissen. Da stünden die Eltern regelmäßig bei ihr auf der Matte. „Wenn es morgens kalt und mittags warm ist, vergessen die Kinder öfter ihre Jacken“, weiß sie. „Und wenn sie Sport haben, sollte man sofort bei ihrer Heimkehr überprüfen, ob sie die Sportsachen auch wieder mitgebracht haben.“ Je früher die Eltern einen Verlust melden, desto einfacher sei es, die Gegenstände zu finden. „Ich kann dann den Busfahrer anfunken und der kann sogar eine Jacke direkt an der Heimatbushaltestelle wieder herausgeben.“ Oft würden sich Eltern aber erst Tage oder Wochen später melden. „Dann müssen sie vorbeikommen und suchen.“ Weil aber manche Fahrgäste ihre Dinge vielleicht doch nicht im Bus verloren haben, ist der Weg zur KVB hin und wieder umsonst. Oder jemand anders hat die Mütze, die Geldbörse oder die Tasche eingesteckt. „Es kommt eben immer auf die Ehrlichkeit der Finder an.“ So war letztens ein teurer Knirps verschwunden, während der Gehstock einer älteren Frau seelenruhig im Gang lag. Wenn Kinder etwas im Bus fänden, nähmen sie es manchmal mit nach Hause und übergäben es der Mutter, anstatt sich direkt beim Busfahrer zu melden. Mobiltelefone sind auch unter den Fundstücken. Sind sie angeschaltet, kann Christine Geschwender den Besitzer oft schnell ausfindig machen, in dem sie eine gespeicherte Nummer wählt und einfach nachfragt. „Aber Kinder haben ihre Handys in der Schule ausgeschaltet und dann wird es schwierig.“ Peter Baumeister, der Leiter des Hauses Nazareth, freut  sich, dass seine Einrichtung vom Kreisverkehrsbetrieb mit den übriggebliebenen Sachen bedacht wird. „Bei uns gibt es immer Jungen oder Mädchen, die eine Jacke gebrauchen können.“

Quelle: Schwäbische Zeitung, Donnerstag 18. August 2011